Dies wird kein allzu langer Blog, denn die Lage erfordert es vor allem, etwas zu tun.
Ich bin nicht der einzige, der sich getäuscht hat, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht. Zur Wahrheit gehört aber, dass ich mich getäuscht habe. Gründlich getäuscht. In meinem vorigen Blog könnt Ihr nachlesen, wie sehr ich daran geglaubt habe, dass man die russische Bedrohung gegenüber der Ukraine noch mit diplomatischen Mitteln beenden kann. Ich habe das wirklich geglaubt, und wie so viele andere Menschen habe auch ich das, was seither geschehen ist, für unvorstellbar gehalten.
Es ist nicht der einzige Grund, warum ich heute nicht über die Weltpolitik schreiben werde. Ein wichtiger Grund ist auch, dass der russische Angriff auf die Ukraine, dass der Krieg, der Tod, die Zerstörung und die millionenfache Flucht Fakten schaffen, über die wir nicht diskutieren müssen. Wir müssen, wie gesagt, etwas tun. Auch hier, in unserem Land.
Wir müssen die Menschen gut aufnehmen, die vor dem Krieg zu uns flüchten. Und es werden mehr werden, viel mehr. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben sich bisher nur über die Grenzen in Sicherheit gebracht, meist nach Polen. Viele haben gehofft, sie könnten nach wenigen Wochen wieder in ihre Heimat zurückkehren. Doch es ist klar: Selbst wenn der Krieg morgen zu Ende wäre, hinterlässt er so immense Schäden, dass es für viele Menschen noch lange nicht möglich sein wird, wieder in ihren Städten und Dörfern zu leben. Je mehr sich diese bittere Erkenntnis durchsetzt, desto mehr Menschen werden auch zu uns kommen, viel weiter weg von der Ukraine, aber auch weiter weg von überfüllten Städten wie Warschau oder Berlin. Vielleicht wird es bei diesen Umzügen auch mal ein Quartier für wenige Tage brauchen, meistens braucht es aber mehr. Wenn Ihr helfen wollt, denkt also eher an die Einliegerwohnung als an das Schlafsofa.
Die Hilfsbereitschaft in unserem Land ist groß, sie ist spontan. Das ist wunderbar, aber nicht immer nachhaltig. Das müssen wir sortieren. Es geht nicht um Menschen, die für 14 Tage vor einem Hochwasser fliehen, die wir nur schnell mal in Turnhallen oder auf der Schlafcouch im Wohnzimmer übernachten lassen. Es geht um mittelfristige Unterbringungen, es geht um Schule und Kitas für die Kinder, es geht um medizinische Versorgung nicht nur in Notfällen. Es geht auch darum, dass Geflüchtete aus der Ukraine bei uns nicht nur arbeiten wollen, sondern es auch dürfen. Wissen das unsere Ausländerbehörden? Noch weiß man es offenbar nicht überall.
Es geht um die vielen kleinen bürokratischen Hürden, die in unserem Land immer und überall wie Fußangeln ausliegen. Ja, ukrainische Staatsbürger haben 90 Tage Aufenthalt ohne Visum. Aber eigentlich nur, wenn sie biometrische Ausweise haben. Und die Oma mit dem alten Pass? Wenn die 90 Tage vorbei sind, muss man die biometrischen Daten aufnehmen. Kann man das in allen Rathäusern? Und steht ein Netzwerk, mit dem wir den Überblick behalten, wie viele Menschen wo sind? Bekommen Geflüchtete unbürokratisch ein deutsches Konto, auf das man ihnen Hilfsleistungen überweisen kann? Tauscht wenigstens die Landesbank Geld um, wenn Geflüchtete schon extra US-Dollar mitgebracht haben, weil die ukrainische Währung sozusagen eingefroren ist?
Viele dieser Aufgaben müssen wie kleine Luxusprobleme klingen, wenn man an die Lage in der Ukraine denkt. Doch schon alleine diese kleinen Hürden aus dem Weg zu schaffen, die Aufnahme der Geflüchteten optimal zu organisieren ist im Zweifelsfall mehr wert als jede blau-gelbe Schleife am Kragen. Es ist wichtig, in diesen Zeiten Solidarität zu bekunden. Noch wichtiger ist es aber, Solidarität zu beweisen. Wir haben zu tun.
Das gilt auch, wenn es um den Druck auf Russland und seine Staatsführung geht. Gerade in Baden-Württemberg haben wir eine Reihe von Firmen, die sehr spezielle Dinge nach Russland exportieren, für Rohstoffkonzerne, für Luxusbauten. Diese Exporte zu unterbinden tut weh, nicht nur in Russland, sondern auch in unserer Wirtschaft. Aber wir müssen dafür sorgen, dass solchen Firmen geholfen wird. Und wir müssen dafür sorgen, dass diese Exporte ausnahmslos gestoppt werden. Es kann nicht sein, dass wir am Sonntag auf dem Marktplatz gegen den Krieg demonstrieren und die Häberle GmbH am Montag überlegt, wie sie ihre Lieferung nach Russland nun eben über Indien abwickeln könnte. Bei früheren Sanktionen hat sich der Südwesten hier weiß Gott nicht immer mit Ruhm bekleckert. Wir haben zu tun.
Zu tun haben wir auch, wenn es um unsere Abhängigkeit von fossiler Energie geht. Die ist fatal für das Weltklima, sie ist fatal angesichts dieser Situation, in der Russland Europa plötzlich als feindseliger Nachbar entgegentritt. Wie viele Grüne wird es noch brauchen, bis wir, gerade in diesem schon so lange grün regierten Land, endlich wirklich in erneuerbare Energien investieren?
Ein Punkt am Rande: Wenn es wahr ist, dass die hohen Preise für Benzin und Diesel keine Ursachen in Lieferengpässen oder hohen Rohölpreisen haben, wenn es wahr ist, dass sich Raffinerien die Taschen füllen und einige dieser Raffinerien auch in Deutschland auch noch russischen Staatskonzernen gehören, dann sollten wir nicht nach Staatshilfen rufen, die am Ende deutsche Steuergelder in den Kreml pumpen. Dann sollten wir nach den Wettbewerbsbehörden rufen. Auch hier haben wir zu tun.
Ich habe jetzt an zwei Stellen über Demonstrationen und Solidaritätsbekunden gesprochen – und auch wenn es damit alleine nicht getan ist, soll das nicht so klingen, als wüsste ich es nicht zu schätzen, wenn Menschen Haltung zeigen. Ich habe selbst schon an Demonstrationen teilgenommen und war tief beeindruckt. Es kann sein, dass Wladimir Putin nicht davon beeindruckt ist, wenn Ihr auf die Straße geht. Es kann sein, dass Ihr aus Eurer Stadt heraus nicht den Krieg in der Ukraine beenden könnt. Aber Ihr könnt den Frieden in Eurer Stadt sichern! Haltet zusammen, halten wir alle zusammen, damit der Krieg in der Ukraine keine Gräben in unserer Heimat aufreißt. In Baden-Württemberg konnten Menschen aus Russland und Menschen aus der Ukraine bisher problemlos miteinander leben. Tragen wir Sorge, dass das so bleibt.
Wir haben zu tun, denn es herrscht Krieg und Not und das nicht allzu weit entfernt von uns. Wir haben zu tun, denn es gibt noch einen Grund mehr, warum wir nicht weiter fossile Energieträger verfeuern können wie bisher. Wir haben viel zu tun.
Ein ukrainisches Sprichwort sagt: „Der Hund weiß nicht zu schwimmen, bis ihm das Wasser bis an die Ohren steht“.
Handeln wir. Es ist Zeit.
Euer Andreas Stoch