Jetzt sind es die Schlittenfahrer. Schlimm, schlimm, schlimm. Im Schwarzwald und auch bei mir auf der Alb gibt es rappelvolle Hänge, Staus auf den Zufahrten und ein Gewühl an Menschen auf den Hängen. Nicht selten muss die Polizei kommen.
Das muss nicht sein, das darf nicht sein, und es ist natürlich ein Schlag ins Gesicht all unserer Bemühungen, diese vermaledeite Pandemie in den Griff zu bekommen. Aber der Zorn, der im Netz zu lesen, ist, die Wut auf die „Wintersportidioten“… ich werde da nicht sauer, sondern nachdenklich. Wenn eine Familie mit ihrem Kind zum Schlittenfahren geht, ist das vollkommen legal, und an einem einsamen Hang fänden wir das alle prima, ja sogar empfehlenswert: Ja, geht raus an die frische Luft! Habt ein wenig Spaß, jetzt wo mal etwas Schnee liegt!
Nur: an einem übervollen Hang ist es eben nicht prima. Aber verstehen das alle? Haben wir allen die Chance gegeben, es zu verstehen?
Wer diesen Blog liest, darf sich selbst gratulieren. Er ist Teil einer Informationselite. Er hat Internet, und er nutzt das Internet nicht nur für Videos, sondern auch für Informationen. Mehr noch, er klickt sie sich zusammen, besucht diese (immerzu besuchenswerte) Seite, liest diesen Text durch.
Ja, das machen viele Menschen, und sicher könnte sich heute schon eine Mehrheit der Leute in Baden-Württemberg ganz passabel über das Internet informieren. Die Tageszeitungen wissen das, aus leidvoller Erfahrung.
Aber genau da liegt der Hund begraben: Ja, das Internet holt als Informationsquelle auf, aber eben vor allem bei denen, die bisher Zeitungen lasen. Also genau bei jenen, die aktiv etwas dafür tun, informiert zu sein. Und das sind eben nicht alle, in manchen Gegenden sind sie vielleicht nicht einmal mehr die Mehrheit.
Bei der Müllabfuhr wissen das alle: Bei mir zuhause bekommt jeder Haushalt ein Flugblatt eingeworfen, wenn es um Sperrmüll und Co. geht. Da stehen die wichtigsten Termine, und sie stehen da nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Türkisch und Arabisch und Russisch und Rumänisch. Und an den Altglastonnen, an den Altkleidercontainern oder Wertstoffhöfen hängen Schilder: Macht es bitte so und nicht so, achtet bitte auf dies und lasst jenes bleiben. Und auch das gerne in mehreren Sprachen, mit Grafiken, Logogrammen. Man verlässt sich nicht darauf, dass das in der Zeitung steht oder im Internet, denn das bekommen zu viele Menschen nicht mit.
Und wie sieht es bei der Pandemie aus?
Natürlich gibt es viele, viele Schilder. Überall, wo geschlossen ist, steht „geschlossen“, an den Supermärkten sind Logogramme: Maske auf, Abstand halten, bitte jeder einen Wagen. Beim Bäcker hängen Schilder, dass man bei zu vielen Menschen im Laden draußen warten soll. Die Betreiber all dieser Läden, wissen, warum sie diese Schilder aufhängen: Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Kunden das alles im Internet nachlesen, bevor sie aus dem Haus gehen.
Aber gibt es Schilder, auf denen darüber informiert wird, um was es bei all den Auflagen und Schließungen geht? Hat schon mal jemand ein Flugblatt gesehen, auf dem Ausgangsbeschränkungen erklärt werden? Am besten noch in Fremdsprachen?
Ich fürchte, viele in der Politik schauen an diesem Punkt nicht weit genug über ihren eigenen Tellerrand, den Tellerrand einer Informationselite, die täglich dreimal die Nachrichten schaut, deren Smartphone sich x-mal am Tag mit Pushnachrichten schüttelt und die im Zweifelsfall mal schnell auf die Homepage der Landesregierung klickt, um sich in den FAQs zu informieren.
Das ist schlecht, denn unsere ganze praktische Lebenserfahrung zeigt, dass das nicht genügt und nicht genügen kann. Wir wissen das, alle, Regierung wie Opposition. In den kommenden Landtagswahlen werden wir natürlich Plakate an die Straßen hängen, Flugblätter verteilen. Wir werden nicht verlangen, dass Wählerinnen und Wähler aktiv im Netz nach uns suchen.
Der „Wintertourismus“ ist nur ein Beispiel, dass die Maßnahmen gegen die Pandemie noch weit besser vermittelt werden müssen. Das wird nicht gegen Idioten helfen, gegen Verschwörungsgläubige oder selbst ernannte Rebellen. Aber ich glaube nicht, dass das Gedränge auf all den Hängen aus Idioten bestand. Das waren einfach nur Leute, die mal Spaß im Schnee haben wollten.
Wir werden noch viel größere Aufgaben haben, wenn es um Erklärungen geht. Irgendwann werden die Schlagzeilen laufen, dass es zehn Millionen Geimpfte gibt oder 20. Dass ein Drittel der Bürger geimpft ist oder schon die Hälfte. Dann wird es auf den letzten Metern noch einmal richtig schwer, denn wenn dann alle meinen, man könne die Vorsicht vergessen, könnte es eine letzte Welle geben, unter den noch nicht Geschützten, kurz vor dem Erreichen der berühmten Herdenimmunität. Das wäre fatal.
Der Staat fordert viel ein von uns allen: Geduld und Solidarität, Vernunft und Verständnis. Aber wer Verständnis einfordert, muss auch die Chance bieten, überhaupt verstehen zu können. Auch dann, wenn man eben keine Zeitung hat zuhause. Auch dann, wenn die Satellitenschüssel nur arabische TV-Sender empfängt. Auch dann, wenn man noch nie etwas von „tagesschau.de“ gehört hat.
Wer Schulen schließt und Geschäfte, Schwimmbäder und Kinos, der kann die Leute einfach vor vollendete Tatsachen stellen. Aber wir können nicht alle Schlittenhänge vergittern und nicht alle Waldwege in Hochlagen von Polizisten kontrollieren lassen.
Nein, es sollte mehr, viel mehr informiert werden. Auf allen Kanälen, ohne Sprach- oder Technikbarrieren. Fast alle Maßnahmen kann man sehr gut begründen. Wir sind nicht in Erklärungsnot. Aber es tut Not, mehr zu erklären.
Euer Andreas Stoch
Sehr geehrter Herr Stoch,
in einem SPD Haushalt groß geworden und damit in meinem Herzen zutiefst Arbeitnehmer freundlich und sozial eingestellt habe ich, trotz eigener Selbstständigkeit als Psychoanalytikerin die alleinerziehende Mutter und oder due beiden berufstätigen Eltern im Blickpunkt. Auch die Mutter, die geflüchtet ist und trotz grösser Bemühungen nicht gut Deutsch sprechen und verstehen kann.
Nun hat sich die SPD immer genau für diese Menschen stark gemacht und die Menschen vertreten, die sich zum Teil selbst nicht vertreten können.
In der Grundschule meines Sohnes sind es gerade diese, die nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu Hause zu unterstützen. Notbetreuung hilft der berufstätigen Mutter dabei nicht, da weder sie noch das Kind in der Lage dazu ist noch vier Stunden ( mit Pausen) zu lernen.
Bei Kindergartenkinder kann eine Notbetreuung hingegen dahingehend ausreichend sein.
Das die Lehrkräfte geimpft werden sollten empfinde ich auch als wichtig und sinnvoll.
Das möchte ich Ihnen als Sozialdemokrat ans Herz legen.
Mit freundlichen Grüßen
Hervorragend auf den Punkt gebracht. Ich bin fast jeden Tag sportlich im Schnee unterwegs. Habe dadurch schon fast ein schlechtes Gewissen weil ich dadurch kein bisschen unter dem lockdown leide. Das aktuelle Verbot meinen Beruf auszuüben, und das geschrumpfte Einkommen (aber immerhin haben wir einen Sozialstaat der dies ermöglicht), und einen Fünftklässler morgens zu „unterrichten“, mit entsprechendem Nervenverlust, sind allerdings die Wermutstropfen.
Versorgen Sie mich gern bis zur Landtagswahl mit Informationen wofür Sie stehen, und was sich konkret im Ländle ändern würde wenn die SPD ans Ruder käme.