Stochblog

Die Qual (nach) der Wahl

Natürlich hat es etwas phrasenhaftes, wenn Politiker unmittelbar nach Wahlen sagen, man müsse jetzt erstmal alles in Ruhe analysieren. Ist aber leider einfach so. In bestimmten Ämtern wird man praktisch schon am Wahlabend zu ersten großen Einschätzungen genötigt (so ging es mir ja auch), aber wenn es um eine echte Analyse geht, würde ich auch eine Woche nach der Wahl sagen: Ich arbeite noch dran.

Heute also eher eine Art Baustellenrundfahrt, quer durch all die Fragen, die sich stellen. Ich sortiere das nicht nach der Wichtigkeit, sondern so, wie es mir einfällt.

Ich wüsste gerne, welchen Anteil der Wahlkampf an den Ergebnissen hatte. Die SPD hat dafür in ganz Deutschland einmal mehr ganz auf die Marke gesetzt. SPD, weiß doch jeder, muss reichen. Das Gesicht war der Bundeskanzler, kennt auch jeder. Aber sonst? Frieden, Freiheit, schönes Wetter. Die Gewinner dieser Wahl hatten deutlich klarere Botschaften. Muss sich da etwas verändern?

Ich weiß auch nicht, was wir mit dem mangelnden Politikverständnis machen sollen. Jaja, wer der AfD oder dem BSW nur Protestwähler zuschreibt, macht es sich zu einfach. Aber in meiner Heimatstadt auf der schwäbischen Alb wurde ein vollkommen unbekannter Kandidat der AfD Stimmenkönig bei der Gemeinderatswahl. Niemand kannte ihn, es gab keine lokalpolitischen Positionen der AfD, und die politische Agenda einer AfD kann man von Grenzschließungen bis Putinverstehen in einem Rathaus gar nicht adressieren. Kommunalwahlen sind Persönlichkeitswahlen, eigentlich. Aber überall im Land haben Leute das schlicht vergessen und wollten lieber Zeichen nach Berlin schicken, als für ihren Ort abzustimmen. Das sind nun wirklich Protestwähler. Was tun wir da?

Wenn es um junge Leute geht, sind wir wieder beim Wahlkampf und der Kommunikation. Die größten Einzelhändler Deutschlands haben schon lange keine Filialnetze mehr, das geht online. Dass wir im Hinblick auf ältere Menschen immer noch Schirmstände und Haustüraktionen machen ist in Ordnung, aber allzu oft bleibt es dabei. Die Rechten, die Populisten sind in den „neuen Medien“ ganz vorne. Auch, weil wir sie dort machen lassen. Können wir uns das leisten?

Und ja, natürlich hat so ein Wahlergebnis auch mit der politischen Arbeit zu tun. Über den Streit in der Berliner Koalition muss man nicht reden. Immer wieder wird das mit schwachen Ergebnissen bestraft, immer wieder heißt es, man dürfe jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen, immer wieder geht man dann zur Tagesordnung über. Doch die SPD reibt sich nicht nur in Kleinkriegen in der Koalition auf, sondern auch im eigenen Anspruch: Wir stehen vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten, liefern aber Überschriften über Cannabis-Liberalisierung, kleine und komplizierte soziale Verbesserungen. Wo sind unsere Prioritäten? Wenn wir das selbst nicht erkennen, wie sollen es dann die Leute im Land erkennen?

Vor lauter Wahl ist es fast untergegangen: Der Bund der Deutschen Industrie fordert ein Sondervermögen für Investitionen, 400 Milliarden Euro. Ohne jede Diskussion hat der Finanzminister der FDP das sofort abgelehnt. Die Wirtschaft fordert immer dringender, die Probleme im Land zu lösen, sie rechnet uns vor, was es kostet, jetzt kein in die Hand zu nehmen. Doch die FDP und die CDU hören nicht mehr auf die Wirtschaft. Sie rechnen auch nicht mehr. Sie verehren kultisch die schwarze Null und die Schuldenbremse, und in diesem Glauben sind sie inzwischen völlig unbelehrbar. DAS ist der entscheidende, der elementare Unterschied zwischen der SPD und den anderen Parteien. DAS ist unser Profil. Wie lange wollen wir das verstecken, nur damit der kleine Koalitionspartner keine Schnappatmung bekommt?

Das sind alles Fragen, und ich habe noch lange nicht für jede Frage die richtige Antwort. Aber Ihr merkt schon, da tut sich was bei mir. Und ein Ergebnis steht für mich jetzt schon fest: Es muss sich auch was tun.