Die SPD-Landtagsfraktion hat ihre jüngste Klausur vom 4. bis zum 7. Juli in Berlin abgehalten. „Wir stehen vor enormen Herausforderungen, die wir nur meistern werden, wenn Bund und Länder an einem Strang ziehen“, so Fraktionschef Andreas Stoch. „Während die grün-schwarze Landesregierung vor allem mit dem Zeigefinger auf Berlin fuchtelt, wollen wir bewusst unseren guten Draht in die Bundesregierung nutzen. Gerade, weil Baden-Württemberg ganz besondere Aufgaben lösen muss.“
Austausch im Kanzleramt
Ein Schwerpunkt der Klausur war daher der Austausch mit der Bundespolitik bis hin zu einem Treffen, bei dem die Fraktion im Kanzleramt mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammenkam. Weitere Gesprächspartner in Berlin waren unter anderem Bundesinnenministerin Nancy Faeser, der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil, Staatsministerin Sarah Ryglewski sowie die Abgeordneten der baden-württembergischen Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion und Wirtschaftsstaatssekretärin Dr. Franziska Brantner von den Grünen.
Nicht zuletzt durch die Abstimmung mit der Bundespolitik haben die 19 Abgeordneten der Fraktion in Berlin auch eine Reihe von Vorschlägen und Forderungen auf den Weg gebracht, die die Landespolitik betreffen und aufzeigen, wie auch Baden-Württemberg nötige Problemlösungen unterstützen, verstärken und beschleunigen kann.
Weitere zielgerichtete Entlastungen
Die Entlastungspakete der Bundesregierung werden die Menschen ab August spürbar entlasten. Bereits insgesamt 30 Milliarden Euro wurden in die Hand genommen, um etwa durch die Energiepauschale, die Erhöhung des Grundfreibetrages, das 9-Euro-Ticket oder den Kinderbonus für Entlastung zu sorgen. Angesichts der Preissteigerungen bedarf es aber weiterer Schritte. Zentral ist die durch den Bundeskanzler angeschobene Konzertierte Aktion. Darüber hinaus hält die SPD-Landtagsfraktion es für geboten, noch weitere Entlastungen vorzubereiten. Dies vor allem zielgerichtet und im Sinne der sozialen Gerechtigkeit für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Dafür gibt es folgende Vorschläge:
1.) Monatlicher Zuschlag zum Arbeitslosengeld II (100 Euro, für die Dauer von einem Jahr. Gilt auch für Berechtigte in der Sozialhilfe und im Asylbewerberleistungsgesetz). Die Aufstockung soll auch für den Grundrentenzuschlag gelten.
2.) Verzicht auf Zwangsräumungen von Mietwohnungen ab Oktober 2022 sowie ein gesetzliches Verbot von Energiesperren über die Wintersaison.
3.) Deckelung des Gaspreises für private Haushalte auf 7,5 Cent pro Kilowattstunde bis zu einem Verbrauch von 8000 Kilowattstunden (Jahresverbrauch eines üblichen Haushalts). Haushalte mit mehr Personen erhalten anteilig einen höheren Sockelbetrag für den Grundverbrauch.
4.) Energiegeld für Baden-Württemberg an alle, die Wohngeld, einen Kinderzuschlag oder BAföG beziehen. Das Energiegeld beträgt 440 Euro (12×20 Euro für die Stromkosten und 4×50 Euro für die saisonalen Heizkosten) und wird im Januar 2023 ausgezahlt.
Vorsorge für den Corona-Herbst
Baden-Württemberg muss sich besser auf den Corona-Herbst und mögliche weitere Virusmutanten vorbereiten als in den vergangenen zwei Jahren. Von der Landesregierung erwartet die SPD-Fraktion eine Impfgarantie innerhalb von vier Wochen für alle Impfwilligen im Land. Corona-Impfungen müssen den Menschen im Land in dieser Zeit und in zumutbarer Entfernung angeboten werden können. Dafür muss das Land Sorge tragen, bei Überlastung der Arztpraxen auch mit dezentralen Impfzentren. Bei der Terminvergabe müssen vulnerable Personen und Beschäftigte der kritischen Infrastruktur vorrangig berücksichtigt werden. Insbesondere in Heimen braucht es wieder mobile Impfteams.
Zudem muss die Grundlage und Struktur erarbeitet werden, die es erlaubt, jede Person mit Informationsmaterial, einer Impf-Einladung oder Aufforderung zum Impfen zu erreichen. Gegen Fake-News muss die Landesregierung auf ihren Kommunikationskanälen offensiver vorgehen.
Da es in Baden-Württemberg im Bundesvergleich deutlich mehr Infizierte und Todesfälle in den Pflegeheimen gab, müssen in diesem Herbst die vom RKI empfohlenen Schutzkonzepte für vulnerable Gruppen ohne Ausnahme umgesetzt werden. Das Sozialministerium muss die Einrichtungen hierbei besser unterstützen, aber auch wirksame Kontrollen auf den Weg bringen. Darüber hinaus dürfen Kinder und Jugendliche nicht vergessen werden. Es muss alles dafür getan werden, dass in Schulen und Kitas in Präsenz unterrichtet und gearbeitet werden kann. Sollte eine Einschränkung des Präsenzunterrichts aufgrund des vorherrschenden Infektionsgeschehens als Ultima Ratio dennoch notwendig sein, müssen die entwickelten Homeschooling-Konzepte sofort greifen. Zum besseren Schutz der Kinder braucht es ab September Programme zur Impfaufklärung an Schulen und einen Masken- und Testvorrat, der die Bildungseinrichtungen im Land für mindestens drei Monate versorgen kann. Schulen und Kitas müssen mit Luftreinigungsgeräten ausgestattet werden – vorrangig zu installieren in schlecht zu belüftenden Räumen.
Zudem fordert die SPD eine Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, einen Runden Tisch „Wirtschaft“ sowie die Möglichkeit einer besseren Vorbereitung für die Kliniken. Dazu soll künftig die Messung der COVID-19-unabhängigen Belastung des Gesundheitswesens etabliert werden. Hierzu gehört die Zahl der mit Personal betreibbaren Betten, unterteilt nach freien und belegten Betten sowie das zur Verfügung stehende Pflegepersonal in der direkten Patientenversorgung.
Mietwucher bremsen, Möblierungszuschlag regeln
Immer häufiger werden Wohnungen möbliert angeboten. In Städten wie Stuttgart ist mittlerweile jedes zweite Inserat auf Immobilienportalen ein möbliertes Mietangebot – immer öfter auch, um so die Mietpreisbremse zu umgehen. Denn der Möblierungszuschlag auf die Kaltmiete ist gesetzlich nicht geregelt und muss nicht gesondert ausgewiesen werden. Die SPD-Landtagsfraktion ersucht die Bundesregierung, die Gesetze (§ 556d Abs. 1 BGB) zu ergänzen: Die zulässige Höhe des Zuschlags soll geregelt werden (Urteile bestehen bereits). Und wer möbliert vermietet, muss den Zuschlag transparent ausweisen.
Doppelhaushalt: Kein Grund, sich arm zu rechnen
Baden-Württemberg stehen aktuell ungenutzte Kreditermächtigungen in Höhe von rund 17 Milliarden Euro zur Verfügung, dazu ein Jahresüberschuss aus dem Vorjahr von mindestens vier Milliarden Euro. Schon die November-Steuerschätzung 2021 hatte die in der mittelfristigen Finanzplanung des Landes skizzierte „Finanzierungslücke“ von 5,4 Milliarden Euro für 2023 und 2024 beseitigt. Dazu kommen nun laut Mai-Steuerschätzung 2022 sogar noch weitere Steuermehreinnahmen in Höhe von drei Milliarden Euro.
Baden-Württemberg steht vor außergewöhnlichen Aufgaben, für deren Lösung auch eine weitere Kreditaufnahme mehr als berechtigt wäre. Doch die ist im Moment nicht einmal ansatzweise nötig: Das Land könnte rund 25 Milliarden Euro sofort investieren, ohne dass die Neuverschuldung um nur einen einzigen Cent ansteigen würde. Es gibt keinen Grund für die fortgesetzten Klagen der grün-schwarzen Landesregierung, es fehle ihr an finanziellen Möglichkeiten, um zu handeln.
Hochschulen: Pandemiefolgen meistern
Die beiden ersten Jahre der Pandemie hatten an den Hochschulen bereits spürbar negative Auswirkungen. Die Folgen halten an und beseitigen sich nicht von selbst. Vielmehr braucht es
1.) Nachhaltigen Ausbau digitaler Lehre mit Weiterbildungsangeboten für Lehrende. Mehr Personal und Geld für Einrichtungen wie das Hochschulnetzwerk Digitalisierung, die Hochschuldidaktikzentren oder der Geschäftsstelle der Studienkommission für Hochschuldidaktik. Mehr Geld für Lösung von Raumproblemen, mehr Autonomie in Bau- und Finanzierungsfragen, für größere Bauvorhaben Projektgesellschaften.
2.) Studierende stärken durch den weiteren Ausbau psychosozialer Beratung an den Studierendenwerken. Die Landesregierung muss sicherstellen, dass das verbesserte BAföG-Angebot auch angenommen wird. Studierendenwerke müssen in die Lage versetzt werden, der zusätzlichen Anträge Herr zu werden. Ein weiterer Vorschlag ist ein studentisches Rektoratsmitglied.
3.) Gleichstellung weiterbringen auch durch Ausbau der Habilitationsprogramme für Frauen (Land) und des Professorinnenprogramms (Bund). Mehr Mitsprache der Gleichstellungsbeauftragten bei Berufungen. Ausbau von echten Teilzeitangeboten, zum Beispiel zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
4.) In der Pandemie verbesserte Fehler- und Problemlösungskultur an den Hochschulen unterstützen. Rechtlichen und finanziellen Rückhalt geben für passgenaue Lösungen für die Gegebenheiten vor Ort. Insbesondere bei der Digitalisierung der Lehre müssen Experimentierfreude begrüßt und Möglichkeiten des Scheiterns akzeptiert werden.
Masterplan für den Gäubahn-Ausbau
Die Landesregierung muss sich viel mehr für einen raschen Ausbau der Gäubahn engagieren, so wie es beim Ausbau der Rheintalbahn oder der Elektrifizierung der Südbahn möglich war. Es braucht einen Masterplan für den Ausbau bis zum Jahr 2035. Dabei müssen die IC-Halte in Böblingen und Singen zwingend erhalten werden. Der Pfaffensteigtunnel ist unbedingt zu unterstützen, die Panoramabahn in Stuttgart weiter bis zum Nordbahnhof zu führen. Der „Ergänzungsbahnhof“ muss schon deswegen vom Tisch, weil er diese Anbindung vernichtet.
Die Landesregierung muss alles unternehmen, damit es nicht zu einer Unterbrechung der Gäubahn für einen Zeitraum von zehn Jahren kommt. Sie muss bedenken, dass eine Stilllegung der Panoramabahn auch das Aus für die ambitionierten Ausbaupläne der S-Bahn und des Schienenpersonennahverkehrs in der Region Stuttgart wäre. In erster Linie ist zu prüfen, inwiefern der Nordhalt doch noch fristgerecht bis 2025 erstellt werden kann.