Seid ihr gute Verlierer? Wirklich? Ich muss ehrlich sagen, ich verliere überhaupt nicht gerne, und das kann meine Familie sogar von Gesellschaftsspielen berichten. Ich bin nicht stolz drauf, es ist halt so.
Und nein, es war auch nicht schön, am Anfang dieser Woche vor dem Verfassungsgerichtshof zu verlieren. Es war sogar noch viel schlimmer.
Denn es war kein Brettspiel, sondern ein ganz wichtiges, für viele, viele Familien in unserem Land bedeutendes Anliegen, bei dem wir eine Niederlage einstecken mussten. Das Gericht hat unsere Klage auf Zulassung eines Volksbegehrens für gebührenfreie Kitas abgewiesen. Und der Verlierer ist eben nicht die SPD. Nicht unsere vielen Bündnispartner. Verlierer sind alle Familien in diesem Land, die für die wichtige frühkindliche Bildung weiter tief in die Tasche greifen müssen. Das wollte ich hier noch einmal klarstellen.
Ich will auch noch einmal klarstellen, dass das Gericht NICHT darüber geurteilt hat, ob unser Anliegen rechtens ist oder nicht. Auch das können oder wollen manche Beobachter nicht begreifen. Natürlich sind gebührenfreie Kitas rechtens, es gibt sie in vielen Bundesländern und es gibt sie auch in einigen Kommunen im Land. Das Gericht ist nur der Meinung, dass man das Ziel dieser Gebührenfreiheit nicht über ein Volksbegehren erreichen darf. Und das Gericht befand über diese Frage nur deswegen, weil wir als Initiatoren des Volksbegehrens das Gericht angerufen hatten. Auch das scheint bisweilen schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein.
Ich bin Jurist, die meisten, die diesen Text lesen, werden keine Juristen sein. Ich will darum nicht mit Details langweilen. Ganz grob gesagt: So eindeutig und klar war die Sache nicht, und wenn jetzt mancher Beobachter so tut, als habe das jeder kommen sehen, dann nutzt er einen alten und ziemlich plumpen Trick: Hinterher hat man es schon vorher besser gewusst, gell?
Wir könnten jetzt ein ziemlich großes Fass aufmachen: An den Maßstäben, die das Gericht bei der Bestimmtheit angelegt hat, könnte auch manches Landesgesetz scheitern, wenn man denn bei jedem Landesgesetz den Verfassungsgerichtshof anrufen würde. Tut man aber nicht, und dann gibt es auch kein Urteil. Und im Übrigen erstaunt mich schon, dass das Innenministerium keine Zweifel an der Bestimmtheit unseres Gesetzentwurfs hatte. Wenn manche also glauben, uns wegen handwerklicher Mängel kritisieren zu müssen, dann müssten sie auch die Juristen im Innenministerium rauswerfen.
Das Urteil macht mir auch deswegen Sorgen, weil diese strengen Maßstäbe des Gerichts von kaum einer Bürgerin und kaum einem Bürger bei der Einbringung eines Volksbegehrens erfüllt werden kann. Sorgen darüber, wie direkte Demokratie in unserem Land möglich sein soll, wenn unser Gesetzentwurf angeblich ein Abgabengesetz betrifft, tatsächlich aber nur einen finanziellen Anspruch der Kommunen gegenüber dem Land. „Es kann nicht sein, dass die Bürgerinnen und Bürger nur Volksabstimmungen über Sonnenschein und Regen abhalten“. Das ist kein Zitat von mir, sondern vom Grünen Fraktionsvize Hans-Ulrich Sckerl. Und er sagte das ganz bewusst im Zusammenhang mit dem Volksbegehren über die gebührenfreien Kitas.
Ich will aber kein großes Fass aufmachen. Und ich will auch nicht darüber sinnieren, dass Verfassungsgerichte nicht gerade als die glühendsten Förderer direkter Demokratie gelten. Das Urteil ist gefällt, das Urteil gilt, wir müssen und werden es akzeptieren. Alles andere wäre ein Foul gegenüber dem Rechtsstaat, so etwas ist weder mit der SPD noch mit den anderen Bündnispartnern beim Volksbegehren zu machen.
Nur: Aufgeben werden wir unser Ziel nicht. Denn die Gebühren für Kita-Plätze bleiben ein großes Foul an den Familien, an den Kindern in diesem Land. In einem Land, das deutlich wohlhabender ist als andere Länder, in einem Land, in dem Bildung eigentlich doch gebührenfrei ist. In diesem Land, ausgerechnet in diesem Land, kosten aber die ersten Jahre der Bildung eine Menge Geld. Das sind wichtige Jahre, und die Kosten treffen junge Familien in einer Zeit, in der das Geld oft ohnehin knapp ist, man einen Haushalt gründet, vielleicht noch am Anfang der beruflichen Karriere steht und nicht gerade die höchsten Löhne und Gehälter bezieht. Wir wissen längst, dass Kitas Bildungseinrichtungen sind, die extrem wichtige Weichen stellen. Nur die Landesregierung will das nicht wissen, erst Recht nicht die CDU, die Kitas immer noch für Luxus zu halten scheint, für eine Art betreuten Indoor-Spielplatz ohne größere Bedeutung.
Wie falsch das ist, zeigt sich in der Corona-Krise besonders. Und wie schwach das Kultusministerium hier agiert, sorgt für immer mehr Kritik. Von Eltern, von Erziehern, auch aus den Kommunen. Doch die Erkenntnis stellt sich nicht ein. Stattdessen steht der Ministerin ein „Ätsch!“ ins Gesicht geschrieben, weil sie nicht begreift, dass das die Entscheidung vom Montag eben keine Niederlage der Opposition ist, sondern eine Niederlage der Kinder und Familien in unserem Land. Eine Niederlage für unser Bildungswesen.
Deswegen wollen und werden wir weiterkämpfen. Nicht gegen die Landesregierung, sondern FÜR die Familien, die Kinder, für deren Zukunft und ein Bildungsangebot, das unseres Landes würdig ist. Wir wollen klarmachen, dass gebührenfreie Bildung, von der Kita bis zum Schul- oder Hochschulabschluss, ein Ziel ist, für das die SPD steht. Und das die SPD durchsetzen kann, wenn die SPD bei der nächsten Wahl stark genug gemacht wird.
Wenn die SPD die Möglichkeit dazu erhält, werden gebührenfreie Kitas in diesem Land Wirklichkeit werden. Dafür wollen wir uns einsetzen, dafür wollen wir kämpfen. Dafür werden wir kämpfen. Das Volksbegehren mag gestoppt sein. Aber das ändert nichts daran, was das Volk begehrt.
Und wenn wir diese Gebührenfreiheit erreichen, will ich mich nicht mehr so aufregen, wenn ich bei Brettspielen oder beim Sport verliere. Versprochen.
Euer
Andreas Stoch