Stochblog

Wenn der Staat zum Arzt muss

Manche Leute fragen mich ja, warum wir wegen der geplanten Schließung weiterer 18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg so ein Fass aufmachen, warum wir so auf die Barrikaden gehen. Das hat mit Grundsätzen zu tun und die will ich gerne erklären.

Vielleicht habt Ihr auch schon mal mit Leuten gesprochen, die in den USA leben und dort zum Arzt oder ins Krankenhaus mussten. Ich will jetzt gar nicht von schweren Krankheiten reden oder schlimmen Verkehrsunfällen. Nehmen wir eine Geburt, eine Entbindung. Die kostet in einem anständigen kalifornischen Krankenhaus gerne mal an die 20.000 Dollar. Jawohl, Zwanzigtausend Dollar. Zahlbar von den Eltern, denn die Krankenhäuser dort arbeiten wie private Firmen.

Wir waren uns einmal einig, dass wir das so nicht wollen in unserem Land. Wir haben Krankenversicherungen und ein staatlich organisiertes Gesundheitssystem.

Aber einmal mehr haben manche Leute diesen Grundkonsens nicht verstanden: Der Staat, wir alle zusammen, zahlen Milliarden um Milliarden. Weil wir ein gutes Gesundheitssystem wollen, für alle. Überall im Land. Und dieses System, das wir bezahlen – das muss im Gegenzug auch liefern.

In Baden-Württemberg gerät das ins Wanken. Die Ärzte, die eigentlich selbst und in jedem Ort für Notdienste sorgen müssen, haben schon zentralere Notfallpraxen eingerichtet. Weiter weg von den Patienten, ohne Auto gerade abends oder an Wochenenden kaum erreichbar. Keine gute Entwicklung, aber wir haben sie geschluckt. Und als das Netz im vorigen Jahr massiv zusammengestrichen wurde, haben wir gemurrt, aber nicht viel unternommen.

Nun aber die nächste geplante Streichung, wieder 18 Notfallpraxen weniger, und überhaupt soll es Notfallpraxen nur noch an Kliniken geben, an Kreiskrankenhäusern. Die Richtung ist klar: Der ärztliche Notfalldienst wird scheibchenweise weggespart, wenn alle eineinhalb Jahre ein Drittel wegfällt haben wir in drei Jahren keine einzige Notfallpraxis mehr im Land. Oder nur noch eine in Stuttgart und da dürfen dann auch die Konstanzer hinfahren.

Keine gute Idee, oder? Und schon gar nicht von einer Ärzteschaft, die per Gesetz Notdienst leisten muss. Da sollte der Staat eingreifen, oder?

Tut er aber nicht, nicht diese Landesregierung und schon gar nicht der grüne Gesundheitsminister Manfred Lucha. Der hat eigentlich die Aufsicht über die kassenärztliche Vereinigung, aber das weiß er wohl selbst nicht so richtig. Der argumentiert bei Klinikschließungen, es gäbe ja noch die Notfallpraxen, und jetzt argumentiert er bei den Notfallpraxen, es gäbe ja noch die Kliniken. Der meinte, er können das einfach aussitzen, niemanden informieren, sich auch bei den Medien erst mal in Schweigen hüllen. Der tut, als hätten ihn die Kassenärzte überrascht, obwohl er die Pläne schon lange kennen musste. Der meint, es ändere irgendetwas an den Kürzungen, wenn er in jedem Satz zweimal das Zauberwort „Telemedizin“ verwendet . Der meint, er könne den unsagbaren Unfug nachplappern, den man aus der Kassenärztlichen Vereinigung hört. Ach so – der einzelne Mensch in Baden-Württemberg nutzt die Notfallpraxis nur alle fünf bis sechs Jahre, deswegen sind die nicht so wichtig? Na schön, dann verzichten wir auf die Feuerwehr. Die nutzt der einzelne Mensch in Baden-Württemberg oft sein ganzes Leben lang nicht.

Doch, so grundsätzlich sehen wir das. Es geht um immer mehr immer ältere Leute, die heute immer weiter und weiter fahren sollen, wenn sie rasche medizinische Hilfe brauchen, es geht um unsere Kliniken, die schon mehr als genug zu tun haben und denen man nun nach und nach auch noch den Notfallpraxenbetrieb unterschieben will. Es geht um Gerechtigkeit im Land: Jeder Landkreis soll eine Notfallpraxis behalten, heißt es. Aber manche Landkreise sind fünfmal größer als andere und haben x-mal mehr Bewohner! Nach der Logik muss Stuttgart ein Krankenhaus reichen, denn Heidenheim hat ja auch nur eins. Was für ein Unsinn!

Und ganz grundsätzlich sehen wir auch das Problem, dass gerade viele Grüne die Mechanik unseres Staats nicht verstanden haben. Deswegen stehen sie immer mit offenem Mund daneben, wenn etwas passiert, deswegen handeln sie nicht. Als Tourist in Kalifornien darf Manfred Lucha das gerne machen, wenn er von 20.000 Dollar für eine Geburt hört. Als Gesundheitsminister von Baden-Württemberg sollte er mit dieser Haltung aber zum Arzt. Am Besten in eine Notfallpraxis.