Ihr werdet es mitbekommen haben, dass in jüngster Zeit ein tolle neue Idee die Runde macht: Wer jetzt noch über die politischen Maßnahmen gegen die Pandemie diskutieren will, wer Mängel oder Fehler anspricht, der versündigt sich. Weil er das Thema „parteitaktisch“ ausschlachtet, heißt es dann. Weil er Wahlkampf machen will. Pfui, pfui, pfui.
Die Idee wird aus den verschiedensten Ecken vertreten. Ich greife mal Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha und den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen (und neuen CDU-Chef) Armin Laschet heraus. Die haben garantiert noch keine Handynummern getauscht, eine Absprache können wir ausschließen. Und doch haben beide sich zuletzt weit, für ihre eigenen Maßstäbe, sogar ganz, ganz weit aus dem Fenster gelehnt. Und gefordert, man dürfe Corona nicht zum Wahlkampfthema machen.
Fangen wir vorne an, wie es sich gehört: Im Frühjahr 2020 kam die Pandemie über uns, und in der Folge tat sich schnell ein Graben auf im Land, der uns noch zu schaffen machen wird: Es gab eine Gruppe von Menschen, die an Verschwörungsmärchen glaubt, Corona für eine Lüge der Regierung hält, sich Argumenten der Medizin verschließt und gerne mit Rechtsradikalen (aber ohne Masken) durch Großstädte läuft. Und es gibt den Rest von Deutschland. In den Parlamenten gab es diesen Graben schon länger, er wurde aber auch beim Thema Corona zur Grenze: Es gibt die AfD und es gibt alle anderen Parteien. Einmal Virus, einmal wirr, einmal nachdenken über die besten Wege zum Schutz der Bevölkerung und einmal absurde Thesen.
Man muss das erklären: das war kein „Burgfrieden“ wegen Corona, das war nur der bereits seit Jahren bekannte Effekt, dass zwischen den demokratischen Parteien trotz aller Meinungsverschiedenheit ein gewisser Grundkonsens besteht, den die AfD nicht mittragen und nicht einmal respektieren will. In den Parlamenten diskutierte man über den besten Weg gegen die Pandemie, die AfD wollte aber darüber diskutieren, ob es überhaupt eine Pandemie gibt. Auch das ist nicht neu, denn die AfD lebt in einer Welt, in der es keinen Klimawandel gibt, Donald Trump ein toller Staatsmann ist und die Erde eine Scheibe. Da kann man sich Diskussionen schenken.
Nicht schenken kann man sich Diskussionen aber darüber, wie wir am besten gegen die Pandemie vorgehen. Was bitte, wäre denn die Alternative? Das unbestreitbar allerwichtigste Thema unserer Tage, das Thema, das alle Menschen beschäftigt, das zigtausende Menschen gesundheitlich oder wirtschaftlich bedroht, das Thema, das uns alle in unserem Leben so massiv einschränkt – dieses Thema soll kein Thema für die Politik sein dürfen? Was ist denn das für ein Unsinn!
Noch einmal: Es besteht ein Graben zwischen denen, die Fakten akzeptieren, und denen, die an Märchen glauben. Doch auf dieser, auf unserer Seite dieses Grabens wurde und wird seit Beginn der Pandemie diskutiert. Nicht darüber, ob es die Pandemie gibt (das ist unbestreitbar), nicht darüber, ob Bill Gates dahintersteckt (das ist unsagbar dämlich). Sehr wohl aber darüber, wie wir mit dieser Pandemie umgehen sollen. Wie viel Schule sein darf, wie viel Handel, wie viel Kontakte und zwischen wem. Und all das wurde seit Beginn der Pandemie auch nie infrage gestellt. Bis jetzt.
Jetzt will Armin Laschet, für seine eher ungelenke Corona-Politik berüchtigter Ministerpräsident, dass man bitte nicht über die Impfstrategie diskutiert. Und er verwahrt sich dagegen, dass es Politiker der SPD gibt, die sich eine bessere Impfstoffbeschaffung vorstellen könnten. Das ist Wahlkampf? Oder ist es nicht so, dass Armin Laschet darum kämpfte, der neue CDU-Parteichef zu werden, mit Option auf die Kanzlerkandidatur? Wer hatte denn nun Wahlkampf? Laschet sicher weit mehr als irgendein SPD-Politiker zurzeit.
Oder Manfred Lucha. Seit Beginn der Pandemie überfordert, nun aber so offensichtlich, dass die Klagen aus den Landkreisen, den Kliniken und Pflegeheimen nicht mehr zu überhören sind. In den Nachbarländern läuft es besser, jeder kann das sehen, der Minister steht mit dem Rücken zur Wand. Und gerade er schwingt sich zur Forderung auf, man dürfe die Corona-Politik nicht politisch diskutieren? Das klingt nach einem Akt der Verzweiflung.
Und es ist durchsichtig, sehr durchsichtig. Die Regierungen in Berlin wie in Stuttgart haben davon profitiert, dass unter den demokratischen Parteien in Sachen Corona einen Grundkonsens besteht. Das Virus ist real, es ist gefährlich, man muss seine Verbreitung bremsen. Es braucht Einschränkungen, es braucht Auflagen, es braucht Impfstoff. Und es braucht gewaltige finanzielle Anstrengungen, damit auf die Infektionswellen keine Pleitewellen folgen.
Soweit, so gut. Doch welche Einschränkungen am wirksamsten sind, welche Auflagen realistisch, und wieviel man am besten von welchem Impfstoff anschaffen sollte – das kann man doch nicht zum Tabuthema erklären wollen! Das wichtigste Thema, die zurzeit wichtigstes Aufgabe der Politik, sie soll aus dem üblichen politischen und parlamentarischen Procedere ausgeklammert werden? Die Regierung beschließt Corona-Auflagen, der Landtag debattiert das Straßenbegleitgrün an den Fahrradschnellwegen? Das könnte Euch so passen!
Ich muss es ganz klar sagen: Ich werde nicht zulassen, dass man beim Thema Corona das Vertrauen in die Politik und den Grundkonsens zwischen den demokratischen Parteien beschädigt, nur weil sich mancher Kasper wünscht, dass er bestimmt, über was man reden darf. Armin Laschet warf im Herbst mit Lockerungsvorschlägen um sich, um populärer zu werden? Kein Wahlkampf, nein. Jetzt wollen einige Bundesländer wissen, ob es mit den Impfstoffen nicht schneller gehen könnte? Wahlkampf, pfui! Und auch in Baden-Württemberg ist doch die Frage, warum gerade jetzt versucht wird, Kritik der Opposition pauschal zu diskreditieren. Nur weil dem überforderten Sozialminister gerade besonders die Düse geht, soll die übliche Debatte um den besten Weg unterbleiben? Ja, das hätte er wohl gern.
Es gibt leider eine ganze Reihe von Politikerinnen und Politikern, denen besonders platte Thesen immer am meisten einleuchten. Ich habe deswegen die Befürchtung, dass wir das „Pfui Wahlkampf!“-Argument zum Abbügeln unliebsamer Kritik noch häufiger hören werden, das ist ziemlich genau das richtige für alle Politiker mit … ich sage mal: einer unterkomplexen Weltsicht.
Deswegen zum Abschluss: Kritik am Impfstart im Land und der Organisation kommt nicht nur von der SPD, sondern auch aus den Landkreisen, den Pflegeheimen und den Kliniken, obwohl man dort gar keinen Wahlkampf kennt. Mit welchem Argument will man Landräten, Ärzten und Pflegerinnen den Mund verbieten? Kritik an der Schulpolitik des Landes kommt auch von Lehrerverbänden und Gewerkschaften, Elternbeiräten und Schülervertretern, nebenbei auch von Epidemiologen und der Wissenschaftsakademie des Bundes… erstaunlich, alle machen Wahlkampf.
Die SPD in Baden-Württemberg hat seit Beginn der Pandemie wie alle vernünftigen Parteien auf die Wissenschaft gehört. Sie hat den Löwenanteil der Maßnahmen und Einschränkungen mitgetragen, die des Bundes ebenso wie die des Landes. Und sie hat das getan, auch wenn dieser Grundkonsens eben überhaupt nicht dazu dienen kann, das berühmte Profil zu schärfen. Dazu stehen wir.
Wer aber meint, er könne nun neue Regeln aufstellen und dann jede Sachdebatte, alle Einwände und Vorschläge und sogar jede Kritik, die aus dem Land an uns herangetragen wird, einfach als Foul pfeifen, der überspannt den Bogen bei Weitem.
Wir werden die Pandemie besiegen. Nicht obwohl, sondern WEIL wir darüber diskutieren.
Euer Andreas Stoch
Schade, das mit den Kommentaren, vielleicht ein ander mal, mit anderen Worten und weniger in Rage meinerseits … ich denke Du kannst besser beurteilen, wie das Problem adressiert werden kann.
Aber trotzdem von Herzen Dank für Dein Engagement und Deinen Mut, das ist nicht einfach und ich rechne das jedem, der was macht, hoch an in diesen „verrückten“ Zeiten.
Und persönlich (besser) kennenlernen werden wir uns sicherlich noch, da bin ich zuversichtlich.
Bis dahin weiterhin viel Erfolg und Lebensfreude
Tommij
Thomas Trotzki
Na, was machen die Sondierungsgespräche in BaWue?
Mir ist schon klar, dass die Vorrang haben ,-)
Aber sobald die Posten klar sind wird’s hier doch weitergehen?
Bis dahin weiterhin viel Erfolg und Lebensfreude
Tommij
Thomas Trotzki